Viele von uns leiden an chronischen Erkrankungen, wie Bluthochdruck oder Autoimmunkrankheiten. Angstzustände, ADHS, Depressionen, PTBS, Süchte und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern nehmen rasant zu. Warum ist das so?
In vielen Fällen ist dies zurückzuführen auf eine Dysregulation unseres Nervensystems.
Unser Autonomes Nervensystem (ANS) kümmert sich um unsere autonomen Funktionen, wie Atmung, Herzschlag, Verdauung oder Körpertemperatur. Es reguliert ebenso unsere Überlebens- und Stressreaktionen. Es sorgt also dafür – und das für uns ganz unbewusst – dass wir am Leben bleiben, wenn unser Leben in Gefahr ist. Sozusagen ein eingebautes Erkennungssystem, dass unsere Umgebung und unser Inneres kontinuierlich nach Sicherheits- und Gefahrenhinweisen scannt. Der Vagusnerv dient dabei als eine Leitungsbahn als Teil eines miteinander vernetzten Systems aus Gehirn, Körper und Nervensystem. 90% der Fasern unseres Nervensystems geben dabei Rückmeldung vom Körper zum Hirn. Nur 10% vom Hirn zum Körper. Wenn dem so ist, können wir auch verstehen, warum Bottom-Up-Ansätze (Methoden, die über die Körperempfindungen arbeiten) so wichtig sind.
Unser ANS identifiziert also Signale zu Sicherheit oder Gefahr und reagiert mit drei autonomen Reaktionen - je nachdem, welche Hinweise es bekommt - ohne dass wir darüber nachdenken:
Unser ANS nutzt diese Zustände, um uns durch den Alltag zu navigieren. Wenn es gut funktioniert, navigiert es fließend von Zustand zu Zustand, und zwar sowohl in die eine Richtung, als auch wieder in umgekehrter Reihenfolge zurück. In der einen Minute sind wir mobilisiert und einsatzbereit, in der nächsten können wir uns erholen und entspannen. Dabei kombiniert unser ANS auch Zustände. Wenn wir z. B. spielen, sind mobilisierter und sicherer Zustand gleichzeitig aktiv, wenn wir mit geliebten Menschen vertraut zusammen sind, sind immobilisierter und sicherer Zustand aktiv.
Wenn das ANS flexibel ist und fließend arbeitet, sind wir in der Lage, Stress und negative Einflüsse zu bewältigen. Wir sind dann resilient, können uns wieder aufrappeln und weitermachen.
Wenn wir aber chronischen Stress oder Trauma erlebt haben, kann das die Arbeit unseres ANS negativ beeinflussen, es kann nicht mehr gesund und belastbar regulieren. Dann bleiben wir in Überlebenszuständen stecken. So kann sich ein einfaches Zusammensein mit Freunden plötzlich bedrohlich anfühlen oder ein Arbeitstreffen gefährlich empfunden werden. Dabei ist es nicht relevant, ob die Situation objektiv bedrohlich ist. Hier zählt lediglich die subjektive und unbewusste Wahrnehmung des ANS.
Das ANS von Menschen unter chronischem Stress oder mit einem Traumahintergrund detektiert oft Gefahr, wenn wir eigentlich in Sicherheit sind. Wenn wir uns ständig in diesem Überlebenszustand befinden, kann uns das schwächen oder lähmen und daraus entwickeln wir Kompensationsstrategien, wie z. B. Drogen- oder Alkoholkonsum, übermäßiges Essen, noch mehr Arbeiten oder Verhaltensauffälligkeiten: und zwar um uns zu regulieren und vorübergehende Linderung zu erreichen.
Wenn wir von Trauma sprechen, ist hier nicht nur das klassische Schocktrauma (z. B. Unfall oder Naturkatastrophen) gemeint.
Bisher wurde Trauma als Ereignis definiert. Mittlerweile wissen wir, dass Trauma eine Erfahrung ist. Und zwar eine Reaktion auf ein Ereignis, nicht das Ereignis selbst! Es ist das, was in uns passiert als Ergebnis dessen, was mit uns passiert. Dabei übersteigt das Ereignis die Bewältigungs- und Verarbeitungsfähigkeit des Betroffenen. Das Gefühl, die Erfahrung, bleibt dabei im Körper „stecken“.
Mit dieser Definition bekommen wir einen anderen Blickwinkel auf Themen wie:
Vor über 20 Jahren gab es bereits eine Studie mit über 17.000 Patienten, die einen direkten Zusammenhang zwischen Kindheitserfahrungen oder –belastungen und langfristiger Gesundheit und Wohlbefinden aufzeigt.
Viele physische und psychische Symptome können ihre Ursache also in einem chronisch gestörten ANS haben. Wenn unser ANS in den Überlebensmodus schaltet, fokussiert sich unsere Biologie nicht mehr darauf, gesund, glücklich und erfolgreich zu sein, sondern auf das Überleben der wahrgenommenen Bedrohungen. Das sind physische wie psychische Themen, z. B. chronische, schwer zu diagnostizierende oder zu behandelnde Zustände und Symptome wie Ängste, Abhängigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Verdauungsprobleme, Autoimmunerkrankungen, Chronische Schmerzen, Migräne, PTBS usw.
Unsere Kindheitserfahrungen können uns auch davon abhalten, mit anderen in Verbindung zu gehen. Das ist aber entscheidend, denn als Kind ist es überlebensnotwendig, in Bindung mit unseren Bezugspersonen zu gehen. Wenn nun aber diese für unsere Sicherheit verantwortlichen Personen diese Sicherheit nicht geben können und wir damit in chronischen Zuständen von Unsicherheit aufwachsen, kann sich unser ANS nicht auf richtige Weise neuronal verdrahten. Der Teil unseres ANS, der beurteilt, was sicher ist und was nicht, entwickelt sich fehlerhaft. Wenn Intimität und Bindung als Kind unsicher war, lehnen wir als Erwachsene oft unbewusst Versuche von Freunden und Partnern ab, sich mit uns zu verbinden – selbst wenn wir uns das sehnlichst wünschen.
Trauma und chronischer Stress beeinträchtigen also unsere Fähigkeit, uns mit anderen zu verbinden und ersetzt unser Bedürfnis nach Bindung mit dem Bedürfnis nach Schutz.
Wenn uns Trauma widerfahren ist, kann unser ANS nicht mehr zwischen unsicherer Vergangenheit und sicherer Gegenwart unterscheiden.
Ziel ist dann, ein dysreguliertes ANS in ein reguliertes, belastbares Nervensystem zu entwickeln. Glücklicherweise wissen wir mittlerweile, dass wir unser Nervensystem ein lebenlang neu kalibrieren können, um uns wieder sicher zu fühlen. Fühlen wir wieder mehr Sicherheit, kann unser Körper entspannen und unser Immunsystem wieder seiner eigentlichen Arbeit nachkommen.
Ein entscheidender Faktor dafür ist die Co-Regulation. Unsere Nervensysteme verbinden sich. Hast du das schon einmal erlebt? Wenn wir mit Menschen zusammen sind, die depressiv, gestresst oder verärgert sind, geht es uns schlechter; wenn wir mit Menschen zusammen sind, die ruhig und glücklich sind, geht es uns besser.
Mit Menschen in Verbindung zu gehen, die präsent, sicher und ausgewogen sind, ist der beste Ansatz auf dem Weg zurück zu einem gesunden ANS. Wir fühlen instinktiv, dass Dinge, die uns gut tun (nicht: gut tun sollten oder andere meinen, uns gut zu tun!), zu einem gesünderen ANS zurückführen (z. B. Zeit in der Natur, Yoga, Tanzen, anderen helfen). Heilung beginnt, wenn unsere ANS sich wieder regulieren lernt, damit erhöht sich auch unsere Resilienz und Flexibilität. Es geht also nicht um Ruhe ODER Mobilisierung. Es geht darum, sich flexibel in den autonomen Zuständen zu bewegen, unserem ANS die Möglichkeit zu geben, Sicherheit genauer einschätzen zu lernen und dann angemessen zu reagieren.
Resilienz bedeutet damit, dass wir fließend von einem in den anderen Zustand wechseln können.
Dies lernen wir normalerweise am Beginn unseres Lebens über einen längeren Zeitraum mit gut eingestimmten Bindungspersonen. Das eigene Verhalten über kognitive Prozesse steuern zu können (Top-Down-Prozess), erlernen wir frühestens im Alter ab drei- bis vier Jahren. Zuvor sind wir auf Co-Regulation angewiesen!
Gerade bei den Verhaltensauffälligkeiten unserer Kinder dürfen wir die klassischen Behandlungsansätze, die sich auf vermeintlich naheliegende Ursachen von Problemen konzentrieren, wie
unbedingt hinterfragen!
Wenn wir einmal verstanden haben, dass diese Verhaltensweisen Manifestationen physiologischer Stressreaktionen sind, ist das Verhalten eine adaptive Reaktion und damit eine intelligente Lösung auf empfundene Gefahr!
Ich habe selbst erlebt, wie die Kenntnis über die Polyvagaltheorie enorme Spielräume eröffnet. Wenn uns bewusst wird, warum wir in Situationen reagieren, wie wir reagieren, hilft uns das, uns selbst und andere mit mehr Wohlwollen und Verständnis zu begegnen. Das eröffnet Räume für Verbindung und Miteinander!
Egal auf welchem Lebensabschnitt wir uns bewegen, es ist immer hilfreich, sich mit dem eigenen ANS auseinanderzusetzen:
Für Wunscheltern: Was könnte es für Gründe geben, dass ich nicht schwanger werde? Was sind meine Gedanken und Gefühle hierzu? Gibt es Dinge, die in meinem Unterbewussten verborgen liegen? Könnten diese der Grund sein, warum mein Körper nicht „kann“?
Für werdende Eltern: Schon mit der Empfängnis prägt sich das Nervensystem des Babys mit den Gefühlen und Empfindungen der Mutter. Fühlt dein Kind sich angenommen? Ist es erwünscht? Hast du Ängste und stehst permanent unter Stress? Man hat herausgefunden, dass die Selbstberührungsrate des Babys (als unbewusste Regulationsstrategie) in direktem Zusammenhang mit der empfundenen Stressbelastung der Mutter steht.
Eltern: Was bedeutet sichere Bindung und was hilft, damit ich meinem Kind eine sichere Bindung geben und sich damit ein gut reguliertes Nervensystem entwickeln kann? Welche Erwartungshaltung habe ich an die Resilienz meines Kindes und ist diese überhaupt kompatibel mit dem neurobiologischen Entwicklungsstand des Kindes? Welche Verhaltensweisen zeigt mein Kind und wo könnten deren Ursachen liegen jenseits von manipulativen und schlechten Absichten? Wie gehe ich damit um, wenn ich feststelle, dass ich selbst ein dysreguliertes Nervensystem habe und meinem Kind ggf. nicht das geben kann, was es braucht?
Für Lehrer und Erzieher: Wie kann ich für die mir Anvertrauten eine sichere Umgebung gestalten und was bedeutet das überhaupt? Wie kann ich lernen, Verhalten als adaptive Strategie anzuerkennen und welche Möglichkeiten im Umgang damit habe ich? Kenne ich meine eigenen Muster – bzw. wann fühle ich mich im Rahmen meines Berufes in Gefahr? Mit welchen Strategien reagiere ich? Wie kann ich mit Eltern und Kollegen ins Gespräch gehen, wenn mir Verhaltensauffälligkeiten auffallen oder ich überfordert bin? Wie kann ich mein ANS stärken und regulieren im Sinne der Selbstfürsorge und als sichere Person für die mir Anvertrauten?
Für Kinder und Jugendliche: Welche Techniken kann ich erlernen, um besser mit meinen Gefühlen und Emotionen umzugehen mich sicherer zu fühlen? Was steckt hinter meinem Verhalten und wie schaffe ich es, mich wertvoll und verbunden zu fühlen, trotz dass alle immer sagen, was ich falsch oder besser machen soll? Wo finde ich Hilfe? Wo/von wem werde ich wirklich gesehen?
(Prozess- und embodimentfokussierte Psychologie nach Dr. Michael Bohne):
Emotionen werden im Körper wahrgenommen. Daher macht es absolut Sinn, bei belastenden Gefühlen auch mit der Körperebene zu arbeiten, wie auch schon im Abschnitt zur Polyvagatheorie beschrieben.
Mittels Selbstbeklopfens auf Körperpunkte (Akupunkturpunkte) und weiterer Interventionen (Augenrollbewegungen, Summen, Zählen, Affirmationen aussprechen) werden negativ verknüpfte Emotionen sofort und nachhaltig korrigiert. Die Stimulation des Vagusnerves spielt hier unter anderem eine große Rolle. Eine unmittelbare Entlastung ist spürbar. Die Klopftechnik ist leicht zu erlernen und kann danach als Selbstregulationstechnik in belastenden Situationen jederzeit angewendet werden (Bottom-Up-Ansatz).
Manche Themen lassen sich nicht komplett mit dem Klopfen auflösen. In diesem Fall stehen meist unbewusste Lösungsblockaden dem Erfolg im Weg. Diese werden analysiert und dann transformiert mittels einer von Dr. Bohne entwickelten klaren Struktur, die unterschiedliche psychologische Ansätze vereint und deren Komplexität radikal vereinfacht (Top-Down-Ansatz).
Dabei spielen Humor, Leichtigkeit und Zuversicht eine zentrale Rolle!
Das Wunderbare: PEP© funktioniert schon bei den Kindern!
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Anwendungsbeispiele:
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